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Alle zusammen für das Gemeinwohl (Bericht Giessener Anzeiger)

(Pressebericht Giessener Anzeiger 30.11.23, von: Burkhard Bräuning)

Wenn es um das Leben auf dem Land geht, ist Dr. Ulf Häbel ein ausgewiesener Experte, ein Ideengeber, Planer und Macher. Einer, der die Menschen mitzieht. In den Dörfern gut leben, das funktioniert nach Häbels Philosophie nur dann, wenn wenigstens ein großer Teil der Dorfbewohner an einem Strang zieht, wenn Gemeinschaft noch einen Wert für viele darstellt.

Andersherum gesagt: Wenn nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht.

Häbel wohnt in Laubach-Freienseen. Er sorgt oft für Schlagzeilen in dieser Zeitung, aber auch in überregionalen Blättern. Er ist ein gefragter Referent, und viele Menschen haben ihn schon als souveränen und kompetenten Teilnehmer bei Podiumsdiskussionen erlebt. Er steht früh auf und geht spät zu Bett. Muss er wohl auch, sonst würde er sein Pensum nicht schaffen. Und das ist wirklich groß. Obwohl er nicht mehr berufstätig ist.

Vergangenes Jahr ist Häbel 80 geworden, doch zur Ruhe setzen will er sich noch lange nicht. Vieles, was nicht so gut läuft in seinem Dorf, treibt ihn an. Er sucht nach Lösungen, und meist findet er sie auch. Häbel ist Träger des Bundesverdienstkreuzes, aber das ist ihm nicht wirklich wichtig. Zwei Worte hört man in all seinen Reden, und sie stecken auch in all seinem Handeln: Gemeinschaft und Gemeinwohl. Darum geht es ihm.

Ja, Häbel ist weit über die Dorf-, Stadt- und Kreisgrenzen hinweg bekannt. Aber ein »Promi« will er nicht sein. Er will »was machen«. Aber nicht irgendwas, sondern er kümmert sich um Dinge, die das Leben auf dem Dorf besser machen und die Generationen zusammenführen sollen. Und alles ehrenamtlich.

Dr. Ulf Häbel war sein ganzes Berufsleben lang Pfarrer. Als er die Pfarrstelle in Freienseen übernommen und sich gerade eingewöhnt hatte, startete er schon sein erstes großes Projekt. Er wollte die Grundschule zurück ins Dorf holen. Es hat lange gedauert, aber zusammen mit einigen Unterstützern aus dem Dorf schaffte er es schließlich doch. Alles schon lange her, die Schule steuert auf ihr 25-jähriges Jubiläum zu.

Die Schule war kaum im Dorf und der Neubau fertig, da skizzierte und warb Häbel für ein besonderes Konzept: Dass die Menschen von der Geburt bis zum Tod gut in einem Dorf leben können, dass sie vor Ort alles haben, was sie brauchen. Und dass vor allem Frauen und Männer auch noch im hohen Alter selbstbestimmt weiter im Dorf bleiben können - wenn sie das wollen. Um dieses Ziel zu erreichen, startete Häbel mit einer Gruppe von Unterstützern das Projekt Dorfschmiede. Zwei Punkte waren wesentlich: In den Räumen sollte eine Möglichkeit zur Tagespflege eingerichtet werden - und ein gut sortierter Dorfladen mit kleinem Café sollte entstehen.

Die Geschichte von der Umsetzung des Plans bis zur Eröffnung des Komplexes ist bekannt. Sie war nicht nur Thema in den heimischen Medien, auch überregional wurde berichtet.

Es war lange Zeit ruhig geworden um das Projekt. Doch schon im vergangenen Jahr sagte Häbel dem Anzeiger »Der Dorfladen wird schon frequentiert, aber wie die meisten der rund 400 Dorfläden in Deutschland machen auch wir in Freienseen kein ordentliches Plus, was uns mehr Sicherheit geben würde.« Nun, es kam wie befürchtet: Vergangene Woche verkündete das Leitungsteam das Ende des Ladens zum 31. Dezember (wir berichteten in unserer gestrigen Ausgabe). Andere - zumal in Häbels Alter - würden nun resignieren. Er macht weiter und schaut nach vorne. Beim am morgigen Freitag stattfindenden Wintermarkt soll die lange geplante Dorfwerkstatt eröffnen.

Häbel: »Wir suchten Menschen, die nicht nur Fähigkeiten haben, sondern diese auch weitergeben wollen, nsbesondere auch an die Kinder der Dorfschule. Alles nach dem Motto: Bürger helfen Bürgern.« Rund zehn Interessierte haben sich gefunden. Es sind überwiegend Rentner, die ein Handwerk ausübten.

Der Plan: Sie befähigen die Kinder, handwerkliche und hauswirtschaftliche Fähigkeiten zu erwerben, welche die Schule im normalen Unterrichtsverlauf nicht vermitteln kann. Damit wird der Werkraum der Schule erweitert und man stelle Kontakt zwischen älteren Bürgern und Kindern her. Häbel: »Die Verbindung der Generationen ist ein Lebensnerv der Dörfer.« Wie der Name Werkstatt schon sagt, sollen nicht unbedingt neue Dinge hergestellt, sondern gebrauchte Sachen repariert werden. »Das ist auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit«, sagt Häbel.

Es brauchte einige Zeit, bis alles geklärt war, unter anderem die Finanzierung, die aber in einem überschaubaren Bereich liegt. »Glücklicherweise haben wir mit der ›Main-Kinzig- und Oberhessen-Stiftung‹ einen Sponsor gefunden.« Lange gab es keine Antwort auf die Frage: Wo soll die Werkstatt untergebracht werden? Idealerweise waren seit einiger Zeit zwei Container direkt gegenüber der Schule geparkt, die für die eigentlich vorgesehene Nutzung nicht mehr benötigt wurden. Da griff Häbel zu. Mit der Stadt Laubach wurde ein Nutzungsvertrag geschlossen. Nun kann das Projekt starten.

1990 war Häbel als Pfarrer nach Freienseen gekommen. Sein Einsatz für das Dorf und seine Menschen währt also schon 33 Jahren. Damals war das Dorf schon ein wenig irritiert, denn »de nau Peanner«, setzte sich in seiner Freizeit auf seinen Traktor, baute Kartoffeln an, machte Heu, kümmerte sich um seine Schafe. Als die Menschen sahen, dass er sich auch sehr um seine Schäfchen in der Kirchengemeinde kümmerte, waren sie stolz, einen Pfarrer zu haben, der nicht nur im Talar, sondern auch im Stall und auf dem Feld eine gute Figur macht.

Es gefiel ihnen, was er sagte, wenn man ihn auf den Dorfstraßen traf: Dass man sich gemeinsam auf den Weg machen müsse, dass Alt und Jung zusammenhalten müssen. Und schließlich: Dass man sich um die Menschen kümmern wolle, die alleine in ihren großen alten Bauernhäusern zurückgeblieben waren, weil der Partner oder die Partnerin gestorben und die Kinder weggezogen waren.

Morgen kann man in der Wintergasse sehen, wie all das in der Praxis aussieht. Wenn der Wintermarkt eröffnet wird und die Kinder singen, wenn Eltern und Großeltern ihnen dabei zuschauen und wenn dann alle zu den Ständen strömen, die unter anderem von den Dorfvereinen aufgebaut wurden. So etwas nennt man Gemeinschaft - Gemeinschaft, die sich für das Gemeinwohl engagiert. Wenn man so will, dann kann man sagen: Trotz Rückschlägen hat Ulf Häbel alleine mit der Kraft der richtigen Worte zur richtigen Zeit sein großes Ziel erreicht.